Composable Commerce – Paradigmenwechsel oder Buzzword?

Welchen Wert kann Composable Commerce stiften?

Diese Frage haben wir unsere zwei Kollegen Ji Li (Director Engineering & Technical Consulting) und Gerhard Bastl (Head of Solution Architecture) diskutieren lassen. Dabei sind wir auf interessante Aspekte besonders für Nicht-Techniker, um nicht zu sagen, für Business-Entscheider und Shop-Betreiber gestoßen, die sich mit der Frage beschäftigen: Welchen Wert kann Composable Commerce stiften? Den Austausch der beiden Tech-Experten haben wir hier zusammengefasst.

Ji: Paradigmenwechsel oder Buzzword? Weder noch, würde ich sagen. Für mich bringt Composable Commerce eigentlich nur das zum Ausdruck, was wir als Techniker ohnehin für sinnvoll halten. Ich sehe deshalb in Composable Commerce, wie es Gartner kürzlich definiert hat, auch kein technologisches Umdenken, was meinem Verständnis nach ein Paradigmenwechsel wäre. Sondern es gibt einfach jetzt Sinn technologisch so zu denken, weil es jetzt möglich ist.

Gerhard: Das ist spannend. Da höre ich raus, Du sagst, wir haben es auf keinen Fall mit einem Trend zu tun, sondern eher mit einer notwendigen Konsequenz. Mein Verständnis von Composable Commerce ist einfach gesagt, stets die beste Software-Lösung für spezifische Aufgaben im E-Commerce zu finden und die einzelnen Technologien miteinander zu einem flexiblen Grundgerüst zu verbinden.

Ji: Ja, das trifft es ganz gut und gerade deshalb ist es nur konsequent weitergedacht. Ich muss aber erwähnen, dass ich gedanklich nicht bei einem kleinen oder einfachen Business bin, wo man Artikel einfach nur online verkauft. Ich denke an große und komplexe Geschäftsprozesse, die mit Standardlösungen und den gängigen Funktionalitäten eben nicht zurechtkommen und deshalb zwangsläufig sehr viel zusätzliche Entwicklungsarbeit in die Standardlösung stecken. Da erscheint es doch zwangsläufig sinnvoll sich vieler einzelner Komponenten zu bedienen, in die keine Entwicklung mehr gesteckt werden muss, sondern nur eingebunden werden. Ich sage nicht, dass das einfach ist. Aber perspektivisch und vor allem, wenn ich Technologieführerschaft als Wettbewerbsvorteil verstehe, sehe ich, Stand heute, keinen sinnvolleren Ansatz.

Gerhard: Mir kommt gerade noch in den Sinn, wie Du vorhin sagtest: „weil es jetzt möglich ist“. Komplexe Software-Architekturen gab es doch immer schon und Lösungen, die aus verschiedenen Komponenten bestehen.  

Ji: Was ich damit zum Ausdruck bringen will ist, technisch betrachtet ist die Denkweise von Composable Commerce nicht neu, aber natürlich vom Ansatz her sehr komplex und vor etlichen Jahren noch schwer realisierbar. Ich spreche von serviceorientierten Architekturen und zusammengesetzten Architekturen. Verschiedene Dienste miteinander gleichzeitig zu nutzen, verbraucht schlicht gesagt viele Ressourcen wie Rechenleistung, Speicher und nicht zuletzt Bandbreite. Gerade bei diesen physischen Faktoren sind wir erst heute auf einem Niveau, das uns nicht mehr wesentlich bis kritisch einschränkt. Was mir aber wichtiger erscheint, ist nicht die Tatsache, dass es jetzt möglich ist, sondern wo eigentlich der Vorteil liegt.

Gerhard: Guter Punkt. Ich denke, wenn die Anforderungen an E-Commerce getrieben durch den Kundenmarkt sich stetig und immer schneller ändern, weil man mehr Features und Funktionen für die gesamte E-Commerce-Experience benötigt, dann wird es wohl kaum eine Standardlösung geben, die das leisten kann.

Ji: Ich würde das noch ergänzen: Es geht ja gar nicht darum, dass eine Standardlösung das nicht bedienen könnte. Wenn ich aber im Wettbewerb stehe, und mich bis auf die Ebene einzelner Features und Funktionen im Markt durch das Nutzererlebnis differenzieren will, dann brauche ich auf genau dieser Detailebene eben die Möglichkeit, die beste Lösung, die mir ein höheres Maß an Wettbewerbsfähigkeit sichert. Und genau hier wird es für monolithische Systeme oder Ansätze schwierig. Eine wettbewerbsfähige Experience braucht heute Breite und Spitze.

Gerhard: Alles nachvollziehbar und doch zögern ja viele Unternehmen. Ich bin ja auch in vielen beratenden Situationen und ich kann bestätigen, dass die Diskussion in den Unternehmen schon stattfindet. Sie spüren halt, den Anforderungen vom Kundenmarkt nicht mehr immer und jederzeit gewachsen zu sein, und zwar gerade, weil sie mit den derzeitigen Lösungen nicht flexibel und wendig genug sind.

Ji: Das kann ich bestätigen. Und genau an dieser Stelle sehe ich dann doch einen Paradigmenwechsel. Es geht eben künftig nicht mehr darum, eine neue Technologie zu kaufen. Denn neben der Technologie gibt es andere Aspekte, die eine Veränderung der Denkweise erfordern. Man muss die Organisation anpassen, die Prozesse, die man digitalisieren will, auf eine andere Art und Weise verändern oder gar neu denken und natürlich auch insgesamt mehr Flexibilität in die IT-Landschaft bringen. Genau diese Kernfrage stellen wir deshalb ja auch unseren Kunden: „Are you ready for composable commerce?“. Dabei geht es aber im Kern nicht nur um technische Fragen, sondern im Besonderen um Aspekte der Markt-, Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit. Es geht um die Frage, ob ich als Unternehmen schnell genug und flexibel genug auf die sich verändernden Nutzen-Erwartungen, die letztlich durch den gesellschaftlichen Wandel getrieben werden, mit digitalen Services reagieren kann. Das sehe ich als besonders relevant für Unternehmen, deren Produkt oder Angebot nicht einzigartig ist und die im Prinzip ständig alles dafür tun, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren.

Gerhard: Wie macht der Composable-Ansatz denn da den Unterschied zu vielleicht einem aktuellen Lösungsansatz, wie wir ihn Stand heute bei fast allen unseren Kunden und Interessenten vorfinden? Wenn ich also gezwungenermaßen, wie Du es eben beschrieben hast, hohe Anforderungen habe, sehr anspruchsvolle Anforderungen habe, dann brauche ich an ganz spezifischen Stellen eine Top-Lösung, weil ich mich mit gewöhnlichen Standards nicht mehr ausreichend abheben kann im Markt. Das bedeutet, man muss künftig in der Lage sein, Komponenten oder Dienste von verschiedenen Anbietern integrieren zu können oder auch austauschen zu können. Das wird schnell extrem komplex und ist eine große Herausforderung, wenn ich da an verlässliche API-Standards denke. Ich muss ja schließlich von außen alles, was eine einzelne Applikation bietet, auch bedienen und nutzen können, ohne in die Applikation selbst einzugreifen.

Ji: Ja, verlässliche APIs sind ein entscheidender Faktor. Der Weg in die Zukunft ist Cloud Native, Headless und API First und eben viele unterschiedliche Bausteine verschiedener Anbieter, um noch ein paar Buzzwords zu ergänzen. Natürlich ist das eine Herausforderung und wir alle stehen ja auch erst relativ am Anfang. Natürlich auch der Anbietermarkt. Heißt aber auch, es gibt kein Mustervorgehen oder Blaupausen. Die Antwort auf Deine Frage nach dem Unterschied zu einem monolithischen Ansatz – das wäre in den meisten Fällen der Status Quo –  sehe ich eben weniger in der Technik als in der Business-Strategie. Auch Composable Commerce ist nur eine Software-Lösung. Ob als Privatperson oder im Business, wir Menschen haben uns doch längst daran gewöhnt, alles am liebsten online und sogar mobil zu erledigen, selbst im B2B. Wenn ich diese Freiheit haben will, auf Gewohnheiten der Menschen flexibel reagieren zu können, dann stellt sich mir die Frage gar nicht, weil es nur in diese Richtung gehen kann.

Gerhard: Ich sehe die Vorteile auch darin, dass ich ja letztlich auch meine Investitionen mit einem Composable Ansatz mehr auf die Schaffung von Werten verlagere. Was ich meine ist, wenn ich aktuell Geld und Zeit in die Infrastruktur stecke und vielleicht sogar Personal binde, beziehe ich diese Leistungen künftig aus der Cloud und muss mich selbst weniger um solche Themen kümmern. Statt Konzeption und Entwicklung von individueller Softwareerweiterungen zu finanzieren, nutze ich SaaS-Lösungen über Abo-Modelle usw.  

Ji: Das Thema Investition ist ein guter Punkt. Man kann Kosten einer eher monolithischen Lösung auch nicht unmittelbar mit einer Composable-Lösung vergleichen. Hier lohnt es sich, die Gesamtbetrachtung zu machen. Also auch die Betriebskosten miteinzubeziehen und auch nicht nur die Lizenzsummen zu vergleichen, die bei einer Composable-Lösung durch die Addition der Lizenzen für die einzelnen Komponenten schnell höher liegen können. Aber man ist ja nicht mehr im Einzelfall abhängig und damit habe ich eine gewisse Variabilität in meinem Kostengefüge. Auch die Anbieter werden ihre Abrechnungsmodelle weiterentwickeln. Davon bin ich überzeugt. Sich nur über die Kosten einer Entscheidung zu nähern, wäre zu kurz gedacht. Es geht ja erstmal darum, eine grundsätzliche Entscheidung in Richtung eines Replatformings zu treffen und welchen Ansatz man perspektivisch verfolgen will. Die Entscheidung für Composable Commerce bedeutet eben, sich für eine stetige und kontinuierliche Weiterentwicklung zu entscheiden. Composable Commerce in die Kategorie „Projekt“ zu packen, mit einem Anfang und einem Ende und einer auf Jahre kalkulierten Lizenzsumme, funktioniert nicht. Es ist eigentlich die Entscheidung dafür, kontinuierlich Entscheidungen treffen zu wollen, also sich in einen agilen Produktlebenszyklus zu begeben und im Prinzip nie wieder zu migrieren. Die Kollegen in den einzelnen Fachabteilungen finden eine für sie optimierte Arbeitsumgebung vor und können höchst produktiv arbeiten, also auch ein wichtiger Kostenfaktor! Heißt aber nicht, man hat weniger Arbeit. Denn man würde ja die gewonnene Freiheit und Flexibilität nutzen und sein Angebot stetig verbessern. Eine der wichtigeren Fragen ist daher, ob ich mich in einem relevanten Online-Markt sehe und ob ich dort relevant sein kann und in der Technologieführerschaft einen Wettbewerbsvorteil sehe.

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Gerhard Bastl
(Head of Solution Architecture)

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